Literatur zum Heftthema
Martin Ebner
Die Stadt als Lebensraum der ersten Christen
Das Urchristentum in seiner Umwelt I (GNT, 1,1)
Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2012
391 S., 95,00 €, ISBN 978-3-525-51356-9
Jesus und seine Jünger und Jüngerinnen konzentrieren ihre Verkündigung auf den ländlichen Raum Israels, die ersten christlichen Missionare hingegen überschreiten nicht nur rasch diese geographischen Grenzen, sondern wenden sich auch gezielt dem städtischen Bereich zu. Denn in den Städten des östlichen Mittelmeerraumes spricht die Mittel- und Oberschicht verbreitet Griechisch, und Missionare umgehen so die zahlreichen, ihnen unbekannten Sprachen und Dialekte der Landbevölkerung.
Der Band zielt daher darauf, die Stadt als kulturellen wie religiösen Lebensraum der ersten Christen und Christinnen zu erschließen, um das zeitgenössische Profil neutestamentlicher Texte verstärkt hervortreten zu lassen. Martin Ebners Zugang trägt somit einen stärker kulturwissenschaftlichen als theologischen Akzent, denn der Band möchte in der Reihe der »Grundrisse zum Neuen Testament« auch als Lehrbuch verstanden werden. Zur Kontextualisierung des frühen Christentums werden kontinuierlich sowohl neutestamentliche Passagen als auch andere antike Texte eingespielt, hilfreiche Graphiken zu Städten, Wohnhäusern und Tempeln veranschaulichen darüber hinaus die Ausführungen zur antiken städtischen Lebenswelt. Am Ende jedes Kapitels steht die präzisierende Frage: »Und die Christen?«, um den komplexen Vorgang zu beleuchten, wie sich christliche Identität schrittweise im urbanen Milieu entwickelte, das Heimat war und blieb, aber doch zugleich zur Fremde wurde.
Ebner beginnt sein umfassendes Panorama einer griechisch-römischen Stadt in neutestamentlicher Zeit mit einem grundlegenden Kapitel zu »Stadt und Religion«. Die »Stadt« und das antike »Haus« als Sozial- und Wirtschaftseinheit stehen in einem engen Verhältnis zueinander und ruhen auf drei Säulen: Kult, Politik und Bildung. In dieses Gefüge bringt das Vordringen des Imperium Romanum Dynamik und bewirkt erhebliche Veränderungen. Die römische Herrschaft etabliert sich in der Kaiserzeit als übergeordnete Ebene, der damit einhergehende Verlust an Selbständigkeit und politischer Macht bringt im städtischen Bereich eine »mittlere Ebene« zwischen »Stadt« und »Haus« hervor, zu der im Kult Mysterien- und Heilkulte zählen, im Bereich der Politik das Vereinswesen und in dem der Bildung die Philosophie. Die weiteren Kapitel des Bandes behandeln die im ersten angesprochenen Bereich fokussiert: »Architektur, Politik und Kultur«, »Kult«, »Kaiserkult«, »Haus«, »Vereine«, »Mysterienkulte«, »Philosophie« sowie »Religion am Rand der Stadt«, womit abschließend Orakel, Heilkulte und Magie in den Blick kommen. Gekonnt werden immer wieder von dabei erhobenen Einzelbefunden Linien ins Typische ausgezogen, um sie in die Welt neutestamentlicher Texte hineinzublenden.
In seinem primär kulturwissenschaftlichen Zugang bleibt Ebner stark der sozialgeschichtlichen Perspektive mit einem zusätzlich herrschaftskritischen Akzent verpflichtet, der vor dem Hintergrund der Machtausbreitung des Imperium Romanum profiliert wird. Immer wieder gelingt es ihm, mit geschickten Formulierungen Assoziationsbrücken in die Gegenwart zu schaffen, wenn z. B. die Politik des Imperium Romanum als »taktisches Globalisierungsdenken« (S. 56) bezeichnet wird. Entsprechend seiner hermeneutischen Grundoption gewinnen auch neutestamentliche Texte, Gemeindestrukturen etc. eine (damals wie heute) politische Dimension. Mag man hinter einzelne Elemente des herrschaftskritischen Deutemusters auch ein berechtigtes Fragezeichen setzen – wurde z. B. der Kaiserkult tatsächlich »aufoktroyiert«, bedenkt man, dass es einen Wettbewerb der Städte gab, einen Kaisertempel errichten zu dürfen? – tut dies der meisterhaften Gesamtkonzeption des Werkes keinen Abbruch.
Der Band hält, was er verspricht, ein Lehrbuch zu sein. Er basiert auf profunder Kenntnis der einschlägigen Fachliteratur und schafft es, präzise wissenschaftliche Linienführung mit einer gut lesbaren, ja oft lockeren Sprache zu vereinen, was die Tür für seine Lektüre außerhalb der Fachwelt öffnet. Jedem Kapitel ist eine Literaturliste angefügt, an deren Spitze Lesetipps gegeben werden. Den Band beschließt ein Stellenregister für die Fachwelt sowie ein Glossar für breitere Leserkreise.
Klaus Vellguth (Hg.)
Urbanisierung
Gott in der Stadt entdecken (ThEW, 17)
Freiburg (Herder) 2020
328 S., 28,00 €, ISBN 978-3-451-38817-0
Glaube, Religion und die Rolle von Theologie im Kontext moderner Großstädte behandelt der Sammelband »Urbanisierung«. Beiträger und Beiträgerinnen aus verschiedenen Kontinenten (Europa, Afrika, Asien, Lateinamerika) fragen nach religiöser Identität, Gemeinschaftsbildung und Kommunikation in Großstädten und Megacitys, thematisieren die pastorale Herausforderung sowie neue Formen des Glaubenslebens in den rasant anwachsenden Städten der Welt. Die Überschriften, unter denen die enorme Bandbreite an Fragestellungen und Perspektiven von insgesamt 20 Beiträgen gruppiert werden, spiegelt die Komplexität des Themas deutlich wider: Urbanisierung als pastorale Herausforderung – Religiöse Identität im Zeitalter der Urbanisierung – Gemeinschaftsbildung und Kommunikation in den Megacitys – Diakonische Pastoral in Megacitys – Heute in der Stadt den Glauben leben.
Ein ausführliches Vorwort stellt nicht nur die Beiträge einzeln vor, sondern rückt sie in den Horizont von Urbanisierung und ausufernden Megacitys »als Laboratorien der Zukunft mit Blick auf neue Lebensstile und Kulturformen« und verweist »auf die besondere Herausforderung für das Christentum als statische Religion« (S. 9) in diesem Prozess. Der besondere Reiz des Bandes besteht in der weltkirchlichen Perspektive, in der die ungeheure Vielfalt, die einem in den Beiträgen entgegentritt, mehr als Chance denn als Gefahr spürbar wird.
Martin Stowasser
Christl M. Maier
Daughter Zion, Mother Zion
Gender, Space and the Sacred in Ancient Israel
Minneapolis (Fortress Press) 2008
296 S., USD 29,00, ISBN 9780800662417
Christl M. Maier geht den weiblichen Metaphern für Zion im Alten Testament nach. Dafür untersucht sie die Rhetorik der Texte, ihre theologischen Perspektiven und ihren sozialgeschichtlichen Hintergrund. In der Auswahl der Texte konzentriert sich die Autorin auf Prophetentexte in Jesaja Jeremia, Klagelieder, Ezechiel sowie Ps 46 und 48.
Sie arbeitet mit der Raumtheorie von Henri Lefebvre, der Raum als gesellschaftliches Produkt ansieht. Er unterscheidet drei Perspektiven auf den Raum: den wahrgenommenen Raum (l’espace perçu), den konzipierten Raum (l’espace conçu) und den gelebten Raum (l'espace vécu). Metaphern-theoretisch hält sie unter anderem fest, dass westliche moderne Sprachen androzentrisch sind, viele Metaphern sind geschlechtlich konnotiert.
Beide theoretischen Grundlegungen werden in den folgenden Kapiteln erhellend auf die diskutierten biblischen Texte angewendet. Die vorexilische Zion-Tradition in Ps 48; 46; Jes 6 und Mi 3 ist noch nicht weiblich, sondern räumlich orientiert. Die im Hintergrund zu vermutende Situation kann die Zeit assyrischer Vorherrschaft in Juda sein (S. 32–42). Nach 701 datiert dann Ps 46,2–8 aufgrund des kriegerischen Gottesbildes.
Es sind die Erfahrungen der Zerstörung, die der räumlichen Zionsvorstellung die weiblich-metaphorische an die Seite stellen. In Jes 1–39, namentlich 1,7–9; 10,32; 16,1; 37,22 drückt die Metapher von Zion als Tochter ihre Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit aus. Die Stellen entstammen staatlicher Zeit mit militärischer Bedrohung, also 701, 598/7 und 587/6. Dies wird in Jer 2–6 für die Versprachlichung des Kriegsgrauens fruchtbar. Die Kreativität dieser Metapher wird überdeutlich.
Die Metapher der Hure Zion wird in Jes 1,21–26 einerseits und Jer 2–3; 13 und Ez 16; 23 andererseits unterschiedlich verwendet. Jes 1,21 bringt Korruption zur Sprache und richtet die Aufmerksamkeit von der Verantwortung JHWHs hin auf die politischen Führer. In Jer und Ez ist ursprünglich das Volk als weibliches Kollektiv angesprochen, das erst in einem zweiten Schritt auf die Stadt Jerusalem übertragen wurde. In Jer 2–4 stehen räumliche und weiblich personifizierte Bilder Zions getrennt nebeneinander. Hinter Ez 16; 23 stehen Kriegserfahrungen, die hier mit grausam-aggressiver Sprache metaphorisch ausgedrückt werden.
C. Maier zeigt, wie das Buch der Klagelieder wieder zu der Metapher der trauernden und vergewaltigten Frau und zerstörten Stadt zurückkehrt (Kapitel 5). Das offene Ende in den Klageliedern wird in Deuterojesaja aufgenommen und ins Positive gewendet (Kapitel 6). Hier sind Frauen- und Raummetaphern in eine Synthese zusammengefügt. Eine Analogie stellen die späten Texte aus Deutero- und Tritojesaja sowie Ps 87 dar, die Jerusalem als Mutter und als Pilgerstätte gleichsetzen und letztlich zu einem mütterlichen Raum verschmelzen (vgl. auch Jes 2,1–4).
Insgesamt entstammen die verschiedenen Bilder Jerusalems unterschiedlichen Konzeptionen von heiligem Raum im Alten Orient. Tatsächlich hilft die Kategorisierung der Raumvorstellungen in den Texten mit der Begrifflichkeit Lefebvres, die Entwicklungen der Traditionen sowohl Zions als Raum als auch Zions als Frau zu differenzieren und mithilfe anderer Aspekte zu datieren. Es ist ein gründliches und gut lesbares Buch.
Diana V. Edelmann, Ehud Ben Zvi (Hg.)
Memory and the City in Ancient Israel
Winona Lake (Penn State University Press) 2014
350 S., USD 61,95, ISBN 9781575063157
Dieser Aufsatzband enthält verschiedene Beiträge zum kulturellen Gedächtnis von Stadt im antiken Israel. Nach zwei einleitenden Artikeln über Städte und Gedächtnis grundsätzlicher Art (Ehud Ben Zvi) und von Konzepten, Geschlecht und Stadtbildern allgemein (Stéphanie Anthonioz) teilen sich die Beiträge in zwei Gruppen: Die erste Hälfte widmet sich verschiedenen Bestandteilen der Städte und ihren Funktionen im kulturellen Gedächtnis wie z. B. die Stadttore (Carey Walsh), häuslicher Lebensraum (Anne Katrine Gudme), Tür- und Torschwellen des Hauses und der Stadt (Francis Landy), Paläste in der Literatur aus persischer Zeit (Kare Berge), Stadtgärten und Parks (Diana Edelman), Wasser in der Stadt (Karolien Vermeulen), Zisternen und Quellen in einer Stadt (Hadi Ghantous und Diana Edelman). Die zweite Hälfte der Beiträge behandelt verschiedene Städte und ihr kulturelles Gedächtnis: Jerusalem in spätpersischer und frühhellenistischer Zeit (Ehud Ben Zvi), Jerusalem als Dystopie und Utopie in persischer Zeit (Carla Sulzbach), Samaria in den Königebüchern (Russell Hobson), Sichem (Yairah Amit), Mizpa (Daniel Pioske), Tyrus (Philippe Guillaume), Ninive in persischer Zeit (Steven W. Holloway) und Babylon (Ulrike Sals). Es wird mithilfe der historisch-kritischen Methoden ein Blick auf kulturelle Phänomene geworfen und ist ein vielseitiger, anregender und informativer Band geworden.
Ulrike Sals
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