Literatur zum Heftthema


Nikolett Móricz
Wie die Verwundeten – derer du nicht mehr gedenkst
Zur Phänomenologie des Traumas in den Psalmen 22, 88, 107 und 137 (FRLANT 282)
Göttingen (Vandenhoeck und Ruprecht) 2021
333 S., 120,00 €, ISBN 978-3-525-56730-2

In den letzten Jahrzehnten wurden einzelne Psalmen für bestimmte Lebenserfahrungen entdeckt und exegetisch erschlossen (z. B. Ulrike Bail zu Vergewaltigungserfahrungen, Marianne Grohmann zu Fruchtbarkeit und Geburt). Móricz erarbeitet Formen des Traumas in den Psalmen 22, 88, 107 und 137.
An ihrer Arbeit fällt mir vor allem ihre Sensibilität, Genauigkeit und Ausführlichkeit auf. Zunächst beschäftigt sie sich mit der Frage, wie Trauma im Psalmenbuch vorkommt und wie die Psalmen in ihrer Poetologie und Narrativik lesbar sind. Damit ist bereits eine Lese- und Forschungsrichtung gesetzt: Móricz hört den Texten zu und entdeckt in ihnen Formen des Traumas, statt ein Konzept über die Texte zu stülpen. So kommt im Folgenden jeder der vier Psalmen in seiner Einzelgestalt und mit seinen eigenen Themen vor. Móricz arbeitet sich anhand von Psalm 22 in tiergestaltige Gottesbilder ein, für Psalm 88 in Formen des Sprechens. Im Psalm 107 kommt vor allem die Zeitdynamik und die geographische Orientierung beziehungsweise Desorientierung vor. Psalm 137 behandelt das Thema Gewalt.
Ab den ersten Seiten wird deutlich, dass Móricz sowohl fachlich wie interdisziplinär ausgesprochen belesen und sensibel ist, so dass die Lektüre eine einzige Freude ist und zugleich auf jeder Seite ausgesprochen lehrreich. Viel konnte ich über die Narrative der psalmischen Poetik lernen. Viele Beispiele machen die Theorien verständlich. Trotzdem ist das Buch nicht für das breite Publikum, sondern nur für Fachleute, also interessierte TheologInnen, geeignet.

Ulrike Sals


Andreas Heek/Aurica Jax/Ilse Müllner/Annegret Reese-Schnitker (Hg.): 
Zur Sprache bringen
Biblische Texte und sexualisierte Gewalt 
in Pastoral und Schule, Mainz (Grünewald) 2024
216 S., 22,00 €, ISBN 978-3-7867-3346-1

Der Sammelband mit 19 Beiträgen von Autorinnen und Autoren aus Bibelwissenschaft, Religionspädagogik und Pastoral ist angestoßen durch die lange tabuisierten Taten sexualisierter Gewalt im kirchlichen Kontext. Er verfolgt das Ziel, das Thema sexualisierte Gewalt nachhaltig zur Sprache zu bringen, um dieser vorzubeugen und entgegenzuwirken. 
Dabei wird der Weg über biblische Texte gewählt, da diese sowohl destruktives als auch befreiendes Potential besitzen und vielfältig als Ressource genutzt werden können. Die Beiträge zeigen auf, dass biblische Texte einerseits herangezogen werden, um männlich dominierte Machtstrukturen in Kirche und Gesellschaft zu stützen, andererseits durch die thematische Nähe und zugleich den fremden Kontext das schwierige Thema zugänglich machen und eine geschützte Bearbeitung eigener Gewalt- und Missbrauchserfahrungen ermöglichen. Die kritische Betrachtung exemplarischer Bibeltexte stellt sexualisierte Gewalt als systembedingte Grenzüberschreitung und Machtmissbrauch heraus, die durch eine von männlichen Machtstrukturen geprägte Gesellschaftsordnung und Mentalität begünstigt wird. So begegnen als Opfer sexualisierter Gewalt in der Bibel insbesondere Frauen, deren Stimme meist ausgeblendet wird, sowie als nicht typisch »männlich« dargestellte Männer (Lot, Josef). Zugleich unterlaufen gegenläufige Texte wie Jesu Schutz der Kleinen und die Weltgerichtsrede (Mt 25) die Macht der Mächtigen. 
Das Buch ermutigt zu einer widerständigen und befreienden Auslegung der Bibeltexte, um dadurch eine Stärkung der eigenen Persönlichkeit und Widerstandskraft zu gewinnen sowie gewaltunterstützende Faktoren und Systeme zu erkennen und machtkritisch zu hinterfragen. Hilfreich dafür sind didaktisch-methodische Hinweise für einen sensiblen, konstruktiven und lebensfördernden Umgang mit diesen schwierigen Texten. 
Das in sprachlicher Hinsicht eher anspruchsvoll geschriebene Buch richtet sich insbesondere an Personen mit einer gewissen theologisch-religionspädagogischen Vorbildung, die im universitären, schulischen oder pastoralen Kontext tätig sind und die die Beiträge mit Gewinn lesen werden.

Gabriele Theuer

 

Annette Buschmann/Andreas Stahl
Unsagbare Worte – Trauma, Poesie und die Suche nach Gott
Freiburg i. Breisgau (Herder Verlag) 2025
288 S., 28,00 €, ISBN: 978-3-451-02444-3

Annette Buschmann und Andreas Stahl verstehen ihr Buch als gemeinsames Projekt über die Suche nach Gott. 
Das Zentrum bilden 36 poetische Texte – Gedichte, Gebete und ein Märchen – von Annette Buschmann. Viele der Texte enthalten Anspielungen auf biblische Figuren wie Eva, Kain und Abel, Petrus und vor allem auf Bibeltexte (»Steh auf und iss« S. 33; »Land, das von Milch und Honig fließt« S. 45; »mein Gott – warum hast du mich verlassen?« S. 42.). Die Autorin wurde von ihrem Vater, der Pfarrer war, sexuell missbraucht. Mit ihren Texten will sie Betroffene zu Widerstand motivieren, für deren Lage sensibilisieren und Hoffnung auf Veränderung wecken. Die Texte stehen in Klage und Anklage denen des biblischen Ijob in nichts nach. »Warum hast du mich so verarscht, Gott?« (S. 25). Das ganze Buch ist ein einziges Ringen um Gott unter dem Vorzeichen der Traumatisierung. Die Gottesferne wird artikuliert, aber die Autorin geht durch sie hindurch auf die Suche nach Gott. Die tief berührenden Gedichte und Gebete sind Zeugnisse einer existentiellen Auseinandersetzung und persönlichen Aufarbeitung von traumatisierenden Erfahrungen in Familie und Kirche. Das letzte Gedicht (S. 51) hat den Titel »Wo bist du Gott?«. Es arbeitet sich von der Frage »Hey Gott, wo bist du?« zurück zur Frage »Wo warst du damals?« und stellt die Theodizeefrage in den Kontext des Traumas.
An die Gedichte schließen sich Interpretationen von Andreas Stahl an, die die Gedichte anhand von inhaltlichen Schwerpunkten erschließen. Es geht um Aspekte wie Versprachlichung und Verarbeitung von Traumata, um die Bibel als Resonanzraum, um Ansätze zu Veränderung oder die Ermutigung, eine andere Kirche aufzubauen. Die Interpretationen von Stahl werden immer wieder durch reflektierende Aussagen von Buschmann unterbrochen und so wird dieser Teil des Buches zum Gespräch zwischen der Dichterin und dem Interpreten. Am Schluss bleibt die Frage: Wo bist du, Gott?
In einem Anhang beschreibt Stahl Methodik und Hintergründe des Projekts. Er stellt dar, inwiefern »das Buch ein wissenschaftlich-theologischer Beitrag zum Diskurs rund um die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der evangelischen Kirche« (S. 255) ist. Theologische Wissenschaft kann und muss zur Aufarbeitung beitragen. Dafür muss die Frage beantwortet werden: »Was haben Betroffene der wissenschaftlichen Theologie zu sagen und wie kann deren Stimme erhoben werden?« Diese hermeneutische Reflexion macht das Projekt für den wissenschaftlichen Diskurs fruchtbar. 
Zielgruppen des Buches sind zunächst Betroffene, die in den Texten Sprachhilfe für das Unaussprechliche finden können und ermutigt werden, aus dem Schweigen herauszutreten. Aber auch Menschen, die sich für Aufarbeitung engagieren und Kirche zu einem sicheren Ort machen wollen, sind angesprochen. Nicht zuletzt wendet es sich an akademisch Interessierte, die solche Primärtexte als Reflexionstexte theologischer Themen begreifen. Fazit: Lesen! Unbedingt lesen!

Eleonore Reuter

 

Andreas Bedenbender
Frohe Botschaft am Abgrund. 
Das Markusevangelium und der jüdische Krieg
(Studien zu Kirche und Israel. 
Neue Folge [SKI.NF]; Bd. 5 / Arbeiten zur Bibel und ihrer Umwelt [ABU]; Bd. 2)
Leipzig (Evangelische Verlagsanstalt) 2013
551 S., 37,99 €, ISBN 978-3-374-03265-5

Die Studie bündelt einen Großteil der Arbeiten, die Andreas Bedenbender seit 1995 in Texte & Kontexte veröffentlicht hatte und welche schliesslich vom Fachbereich für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn 2013 als Habilitationsschrift angenommen wurde. 
Andreas Bedenbender liest das Markusevangelium als literarische Verarbeitung des Traumas des Jüdischen Krieges (66–70 n. Chr.). Seine These: Markus erzähle die Passion Jesu als Allegorie für das Leiden des jüdischen Volkes, die Passion Jesu sei »in die Geschichte des Krieges hineinerzählt« (34). Der Evangelist habe also »die Geschichte des Jüdischen Krieges mit der Geschichte Jesu überblendet, also dessen Weg nach Golgota mit dem Leidensweg des jüdischen Volkes zusammenfallen lassen.« (17) Diesem Ansatz folgend interpretiert Andreas Bedenbender das Evangelium als »Krisenliteratur«, dass das Kriegstrauma reflektiert und den Glauben an Christus einer harten Probe unterzieht.
Der Autor beschreibt, wie Markus die Krise nicht beschönigt, sondern mit der Auferstehungsbotschaft Jesu konfrontiert, was die Möglichkeit des Scheiterns dieser Botschaft miteinschließt. Markus erzähle somit ein »Evangelium unter dem Vorzeichen seiner Fraglichkeit« (71), in der »keine neue Perspektive jenseits des Scheiterns« (15) entwickelt wird, da es für den Evangelisten unmöglich gewesen sei, die »Osterfreude durch die Katastrophe hindurchzuretten« (48). In dieser ehrlichen und ungeschönten Darstellung erkennt Bedenbender die Stärke des Textes. 
Methodisch basiert die Arbeit auf einer allegorischen Interpretation, die »den Texten eine symbolische Dimension verleiht« (25). Bedenbender entfaltet seine These unter anderem durch die Untersuchung spezifischer Orts- und Szenenbeschreibungen im Evangelium, die er als direkte Anspielungen auf die Kriegsereignisse deutet. So sieht er in der Szene der Sturmstillung auf dem See (Mk 4,35–41) eine Allegorie auf die chaotischen und zerstörerischen Mächte, die während des Krieges am Werk waren. Der See Gennesaret werde zum Sinnbild für die unkontrollierbare Gewalt des Krieges und die tiefe Erschütterung der Glaubensgemeinschaft. Auch die Erzählung vom Zerreißen des Tempelvorhangs (Mk 15,38) verweise auf die reale Zerstörung des Tempels und symbolisiere das Ende des bisherigen Verständnisses von Gottesnähe und Heilssicherheit, wobei der Hauptmann in Mk 15,39 – entgegen einer in der Markusforschung weitverbreiteten These – gerade keine positive Figur darstelle.
Zuweilen geht die allegorische Deutung freilich recht eigenwillige Wege: So interpretiert er Simon von Kyrene (Mk 15,21), der das Kreuz Jesu trägt, sowie dessen Söhne Alexander und Rufus als symbolische Verweise: Während hinter Simon der hasmonäische Freiheitskämpfer Simon Makkabaios stehe, sei mit Alexander entweder an Alexander Jannai oder Tiberius Alexander gedacht. Rufus »der Rote« hingegen verweise über Esau/Edom erneut auf Rom. Diese Lesart ist ausgesprochen originell, führt aber auch zu der Frage, ob hier nicht historische Figuren willkürlich in den Text hineininterpretiert werden. 
Obgleich das Markusevangelium demnach immerzu – wenn auch nur codiert – auf den Jüdischen Krieg verweise (etwa durch die Rede vom »wüsten Ort«, Mk 1,35.45; 6,31), räumt Andreas Bedenbender ein, »dass das Mk-Ev nirgends explizit und in klaren Worten auf den Jüdischen Krieg zu sprechen kommt«. So umgehe Markus die Katastrophe, »weil er mit ihr nicht zu Rande kommt, er umgeht sie, weil er nicht in der Lage ist, sie in unverstellter Rede zu behandeln« (48). Dass bereits der Verweis auf die Freud’sche Traumdeutung (190) diese exegetischen Spannungen hinreichend auflösen kann, vermag allerdings nicht zu überzeugen.
Die starke Fokussierung auf den Jüdischen Krieg führt m. E. in die Gefahr, die theologische Botschaft und den christologischen Entwurf des Markusevangeliums zu marginalisieren, wenn nicht gar zu verkennen, zumal der Aufstieg Vespasians und damit auch der Jüdische Krieg als dominierender Referenzrahmen für das Markusevangelium neuestens wieder stark in Zweifel gezogen wird (vgl. Sandra Huebenthal, Gedächtnistheorie und Neues Testament, Tübingen 2022, 285–300). Fraglich ist, ob bei Markus tatsächlich die »humanitäre Katastrophe des Jüdischen Krieges zugleich eine christologische Katastrophe« (233) gewesen sei. Vielmehr setzt das Markusevangelium voraus, dass das Evangelium Jesu (Mk 1,14f.) auch nach dem Krieg weitergetragen wird (Mk 13,10). 
Fazit: Bedenbenders Allegorien eröffnen neue Perspektiven auf das Markusevangelium und regen dazu an, das Verhältnis von Text und Geschichte neu zu denken. An zeitgeschichtlichen Hintergründen interessierte Lesende finden durchaus zahlreiche interessante Hintergrundinformationen, sodass auch Nicht-Theologen von der Lektüre profitieren können, zumal der Schreibstil angenehm flüssig ist. Wer bereit ist, sich auf Bedenbenders interpretatorische Kühnheit einzulassen, wird eine Fülle von anregenden Gedanken finden. Dennoch ist festzuhalten, dass seine »materialistisch-allegorische« (488) Lesart m. E. den vielschichtigen theologischen Charakter des Markusevangeliums nicht ausreichend berücksichtigt und das Markusevangelium auf eine historische Funktion reduziert. In jedem Fall ist Frohe Botschaft am Abgrund ein ungewöhnlicher Beitrag zur Markusforschung, der zur weiteren Diskussion herausfordert.

Franz Tóth

 

Andreas Bedenbender 
Der gescheiterte Messias 
(Arbeiten zur Bibel und ihrer Umwelt, 5) 
Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2019 
349 S., 22,00 €, ISBN 978-3-374-05796-2

Die These aus »Frohe Botschaft am Abgrund« hat Andreas Bedenbender 2019 mit einem weiteren Buch anhand anderer Texte (Mk 10,46–13,2 (Kapitel 1), Mk 11,12–14.33–25; 13,28f. (Kapitel 2), Mk 14,3–9 (Kapitel 3), Mk 15,40f.; 15,47–16,8 (Kapitel 4)) vertieft. Das Buch wurde bereits von Torsten Jantsch in der Biblischen Bücherschau besprochen. Hier geht es nur darum, es in den Kontext der Traumahermeneutik einzuordnen, da das Buch die traumatisierende Erfahrung des Jüdischen Krieges zum Ausgangspunkt der Interpretation macht.
Bedenbender versteht das Markusevangelium als Erzählung über Jesus als einem gescheiterten Messias. Er möchte zeigen, dass »das Mk-Ev in, mit und unter der (Leidens-)Geschichte Jesu ein Kriegstrauma verarbeitet …« (S. 3) Sein Hauptinteresse gilt nicht der erzählten Zeit des Jesus von Nazaret, sondern der erzählenden Zeit des Evangelisten. Bedenbender interpretiert Namen und Orte als allegorische Anspielungen auf politische Ereignisse zwischen 66 n. Chr. und der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. Immer wieder berücksichtigt er auch antike Quellen. Kapitel 5 hält als Gesamtdeutung des Markusevangeliums fest, dass der Jüdische Krieg die Jesusbotschaft ad absurdum geführt hat. »Wenn das Mk-Ev überhaupt etwas demonstriert, dann ist es die Unmöglichkeit, die Osterbotschaft unter den gegebenen Umständen zu verkünden.« (S. 255). Das abschließende Kapitel 6 zeigt, dass das Matthäusevangelium als Gegenerzählung zum Markusevangelium zu verstehen ist. 
S. 326f. deutet Bedenbender an, dass eine weitere Untersuchung »… die Spuren der Auferstehungshoffnung, die im Mk-Ev zu finden sind, …« in den Blick nehmen. Darauf darf man sehr gespannt sein, weil hier entschieden werden muss, ob diese Hoffnung trotz des Traumas begründet ist oder ob sie sich als Irrtum erweist.
Im Kontext von Traumahermeneutik ist das Buch bedeutsam, weil es vielfältige Auswirkungen des Jüdischen Krieges im Markusevangelium nachweist. Allerdings geht Bedenbender diesen Weg nicht zu Ende. Er liest den Text als Dokument über die Katastrophen seiner Zeit, nicht als Traumanarrativ. So versteht er zum Beispiel das Schweigen der Frauen in Mk 16,8 als Hinweis auf das Scheitern Jesu und seiner Botschaft, statt als Traumafolge. Hier bietet sich ein Ansatzpunkt für weiterführende Überlegungen.
Das Buch hat in erster Linie Fachtheolog*innen als Zielgruppe, denen es als provokative, aber auch inspirierende Lektüre empfohlen werden kann.

Eleonore Reuter

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